Einflüsse des Zwerchfells auf die Leistungsfähigkeit und Gesundheit

Neben dem Herzmuskel ist das Zwerchfell wohl der bedeutendste Muskel im menschlichen Körper. Ohne ihn würden wir nicht in der Lage sein, ca. 20.000 mal pro Tag unsere Lungen mit wertvoller,  sauerstoffreicher Luft zu füllen, um unsere Organe und den Bewegungsapparat mit Energie zu versorgen. Neben der Atmung gibt es jedoch noch einige weitere grundlegende Funktionen, die das Zwerchfell erfüllt. Wie unser Zwerchfell die Rumpfstabilität beeinflussen kann und was das alles mit unserem Gehirn zu tun hat, erläutere ich im folgenden Artikel: 

 

WERTVOLLE VERBINDUNGEN ZUM HERZEN UND GEHIRN

Die anatomischen und physiologischen Zusammenhänge unseres Zwerchfell (Diaphragma) sind äußerst interessant und nicht nur für Therapeut*innen, sondern auch für Trainer*innen relevant, denn dieser scheinbar völlig eigenständig arbeitende Muskel kann durchaus durch gezieltes Training in seiner Funktion und damit seine Auswirkungen verändert werden. Dies wirkt sich positiv auf z.B. die Stimmung, die emotionale Situation, die Rumpfstabilität und auch Organfunktionen aus.

Zwerchfell / Diaphragma

Beginnen wir zunächst mit den Grundlagen der Ein- und Ausatmung: bei guten Atemmustern, also einer Atmung, die durch die physiologisch richtigen Strukturen zur richtigen Zeit erfolgt,  sollte das” Zwerchfell, das optisch an die Form eines Fallschirms erinnert,  bei jeder Einatmung kontrahieren und sich somit nach unten bewegen. Dadurch wird der Bereich unter dem Zwerchfell, also unsere inneren Organe, mechanisch stimuliert. Dies verbessert die Organfunktionen, denn die Stimulation wirkt anregend und ist eine natürliche Art der Organbewegung, die unser Organismus benötigt. Bei Leberdysfunktionen sollte daher vermehrt die Atmung in die rechte Seite verbessert werden, bei Magen-Darm-Dysfunktionen eher in die linke Seite (mehr Informaitonen zu einseitigen Atemübungen folgen in den nächsten Abschnitten).

Bildquelle: @Fotalia, SciePro

 

Gleichzeitig geschehen bei der korrekten Einatmung zwei weitere bedeutende Dinge auf mechanischer Ebene:

 

  1. durch das Herabsenken des Zwerchfells und die Ausdehnung des Bauchraums in alle Richtungen wird die Beckenbodenmuskulatur ebenfalls nach unten bewegt und somit exzentrisch beladen, um dann während der Ausatmung zu reflexiv kontrahieren.
  2. durch die Abwärtsbewegung des Zwerchfells wird ein Unterdruck in den Lungen erzeugt, der die Ausbreitung des Rippenkäfigs ermöglicht. Dies wird durch die Atemhilfsmukulatur, wie z.B. die Zwischenrippenmuskeln (Intercostalmuskulatur) unterstützt. Somit erreichen wir bei maximaler Einatmung sowohl vollständig gefüllte untere (durch die Arbeit des Zwerchfells) und obere (durch dreidimensionale Ausdehnung des Rippenkäfigs) Lungenflügel. In größeren Belastungssituationen ist das Leistungs-fördernd, denn der Gasaustausch wird optimiert.

 

Wenn wir uns nun weiter die anatomischen Ansatzpunkte des Zwerchfells anschauen, gelangen wir zu einer erstaunlichen Erkenntnis: das Zwerchfell teilt sich die Zentralsehne (Centrum Tendineum) mit unserem Herzen. Ist das nicht faszinierend? Der primär wichtigste Muskel ist mit dem, wenn man es so möchte, zweitwichtigsten Muskel, über eine gemeinsame Sehne verbunden!

Dies ist nicht nur schön zu wissen, sondern hat tatsächlich reale Auswirkungen: bei jeder korrekten Ein- und Ausatmung durch eine gute Zwerchfellfunktion wird unser Herz physiologisch positiv beeinflusst. Bei der Einatmung herrscht mehr mechanischer Druck auf das Herz, der sympathische Teil des Nervensystems wird unter anderem durch das Zwerchfell im Zusammenspiel mit dem Gehirn aktiviert. Die Folge ist: unsere Herzfrequenz steigt. Wenn wir ausatmen, sollte die Herzfrequenz durch vermehrt parasympathische Aktivität sinken. Wir können das sogar mit einer simplen Methode messen.

 

 

SELBSTCHECK ZWERCHFELLDYSFUNKTION NR. 1:

→ Fühle deine Herzfrequenz über eine Pulsmessung unterm Handgelenk. Denk daran, dass du deinen Zeige- und Mittelfinger benutzen solltest, nicht den Daumen, da dieser einen Eigenpuls hat.

→ Spüre die Geschwindigkeit der Herzfrequenz während einer Einatmung. Du solltest eine Erhöhung der Herzrate feststellen.

→ Bei der Ausatmung sollte die Herzrate wieder zu dem ursprünglichen Ausgangswert zurückkehren.

 

Bei einer gestörten Zwerchfellfunktion ist dieser Zusammenhang ebenfalls gestört, die Herzfrequenz wird sich nicht bedeutsam ändern. Dies ist der erste Hinweis dafür, an der Atmung zu arbeiten.

 

Ein weiterer Zusammenhang für Anatomie-Nerds:

Der Hiatus des Esophagus ist eine ebenfalls wichtige anatomische Verbindung, denn dort führt ebenfalls ein Teil des Nervus Vagus durch, der als Hauptnerv des Parasympathikus gilt und Mund-, Rachen- und Speiseröhre mit Sensorik und Motorik versorgt. Probleme in diesen Bereichen (z.B. Schluckbeschwerden, Energieverlust, Sodbrennen, Kribbeln auf der Zunge) sind häufig mit fehlerhafter Atmung verbunden. Über gezieltes Atemtraining können Symptome verbessert werden.

Die Auswirkungen der Zwerchfellfunktion auf unsere Stimmung und unser emotionales System kann nicht nur durch die Verbindung zum Herzen erläutert werden, sondern auch durch wichtige Zusammenhänge mit dem Gehirn. Die Atmung ist vor allem autonom, also eigenständig, reguliert, über vor allem die Medulla und Amygdala.

Die Amygdala, auch Mandelkerne genannt, gehören zu einer Anordnung von Neuronen, die man Lymbisches System nennt. Diese Strukturen sind vor allem an der Regulierung von Bedürfnissen und Emotionen sowie potentiellen Gefahren beteiligt, die Amygdala spielen auch bei Angst eine bedeutende Rolle. Emotionale, bedrohliche oder beängstigende Situationen (oder auch Erfahrungen oder Gedanken) wirken sich somit direkt auf unsere Atmung aus. Meist ist dadurch das Zwerchfell in seiner Funktion insofern beeinflusst, als dass es nur eingeschränkt arbeitet. Jeder kennt eine Situation, in der er erschrocken, beängstigt, oder stark berührt ist, und dadurch “den Atem” anhält. Dies kann sozusagen auch in leichterem Modus “im Hintergrund” ablaufen, dafür aber jeden Tag unseren Organismus negativ beeinflussen.

 

Die gute Nachricht ist die: wir können über gezielte Atemübungen zur Verbesserung der Zwerchfellfunktion sogar unsere emotionale Stimmung verbessern.

 

Was hat das noch mit dem Gehirn zu tun?

 

Unser Gehirn möchte letztendlich immer Sicherheit und Kontrolle über unseren Körper und unsere Umwelt. Alles, was nicht sicher ist, könnte potenziell gefährlich sein und vermindert somit unsere Leistungsfähigkeit, denn unser Nervensystem bringt uns dann in eine Art “Schutzmodus”.

 

In Punkto Sicherheit nimmt eine gute Zwerchfellfunktion in der Hierarchie des Nervensystems, einen hohen Rangplatz ein, denn Atmung ist überlebenswichtig. Wenn wir über bewusstes Training unsere Atmung verbessern, optimieren wir über viele Rezeptoren im Fasziengewebe, in den Muskeln und Organen das Feedback, was wir unserem Gehirn geben. Somit optimieren wir unsere eigene Körperkontrolle, wir zeigen unserem Gehirn sozusagen, dass wir die Situation beherrschen und keine Gefahr besteht. Somit setzt eine Reihe zentralnervöser Effekte ein, die unsere Aufmerksamkeit und körperliche Leistungsfähigkeit verbessert.

 

 

DIE TIEFENSTABILISIERENDE MUSKULATUR – DIE FREUNDE DES ZWERCHFELLS

Eine weitere Funktion des Zwerchfells ist es, zusammen mit tiefenstabilisierenden Muskeln des Rumpfes intraabdominellen Druck zu erzeugen, um die Organe und Wirbelsäule während Bewegungen zu stabilisieren. Das sogenannte intrinsische Stabilisationssystem (intrinsic stabilization system) beschreibt die wichtigsten Muskeln für diese Funktion, die ebenfalls alle an der Faszia Thoracolumbalis ansetzen und somit die Kraftübertragung zwischen Unter- und Oberkörper entscheidend mitbeeinflussen. Zu den Muskeln gehören: M. transversus abdominis, Mm. multifidii, die Beckenbodenmuskulatur und das Zwerchfell. Wenn die neuromuskuläre Ansteuerung einer der Muskeln gestört ist, wird oftmals das Zwerchfell neuronal hochreguliert und entwickelt einen hohen Tonus. Das gleiche gilt umgedreht: eine ungenügende Benutzung des Zwerchfells bei der Atmung oder ein übermäßiges Luftanhalten, selbst beim Heben leichter Gewichte, führt zu einer Überaktivierung des Zwerchfells und Unteraktivierung der tiefenstabilisierenden Muskeln. Diese Fehler in der Bewegungssteuerung verfestigen sich im Gehirn und müssen gezielt getestet und korrigiert werden, um auch die Tonusmuster  zu ändern.

 

 

TRAININGSTIPPS ZUR VERBESSERUNG DER FUNKTION DES ZWERCHFELLS

360° Breathing

Eine grundlegende Übung sollte die 360° – Atmung in Rückenlage sein, die typischerweise mit angewinkelten Beinen stattfindet (siehe Bild). Hier die wichtigsten Punkte zusammengefasst:

  • das Zwerchfell arbeitet bei der Einatmung zuerst, die Luft strömt also zuerst in den Bauchraum, der sich in ALLE Richtungen ausdehnt, also nicht nur nach vorn, sondern auch zur Seite und nach unten
  • unmittelbar während der fast vollständigen Füllung des des Bauchraums setzt die weitere Atmung über die Zwischenrippenmuskeln ein, der Rippenkäfig dehnt sich größtenteils zur Seite und nach vorn bzw. hinten aus.
  • beachte, dass die Schultern und das Schlüsselbein nicht nach oben ziehen.
  • bei der Ausatmung senken sich Rippenkäfig und Bauch gemeinsam wieder ab.
  • trainiere 10-15 Wdh in einer Serie

 

Zwerchfell Release als Grundlage für bessere Stabilität im Rumpf

Was ist, wenn die Atmung in einen Bereich schwer fällt?

 

Oftmals besteht eine Dysfunktion des Zwerchfells in genau dem Bereich, in den man schwer hineinatmen kann. Hier bietet sich ein Zwerchfell Release, also eine Lockerung des Zwerchfells, an. Besonders oft ist es am Ansatzpunkt unter dem Schwertfortsatz oder unter der Vorderseite der Rippen verspannt und fest, weil durch die mangelhafte Atembewegung und die damit einhergehende mangelnde mechanische Stimulation zu einer Verfestigung des Bindegewebes geführt hat. Du kannst mit dem folgenden Selbstcheck herausfinden, wo dein Zwerchfell verspannt ist:

 

 

SELBSTCHECK ZWERCHFELLDYSFUNKTION NR. 2:

→ Taste dich mit deinen Händen in Rückenlage und bei entspannter Bauchmuskulatur bis an die untersten Rippen und das untere Ende des Brustbeins (Schwertfortsatz) heran

→ Drücke unter dem Schwertfortsatz bzw. unter den Rippen mit zwei oder drei Fingern in das Gewebe, als wenn du deine Finger bzw. Hände nach innen / oben schieben möchtest

→ beurteile, wo du am meisten Festigkeit spürst, du solltest deine Finger locker 2-3cm ohne Druckschmerzen nach innen schieben können

 

Wenn du deine verspannten Punkte gefunden hast, hier die wichtigsten Punkte der Durchführung des Release :

  • Beginne im Sitzen, halte deine Hände unterhalb der letzten Rippen oder direkt unterm Schwertfortsatz
  • beuge deinen Rumpf leicht ein, während du ausatmest
  • schiebe dabei deine Finger leicht unter die Rippen, bis du die Verspannung erreichst
  • wiederhole die Ausatmung und Beugung 2-3 Mal

 

Aktivierung der intrinsischen Bauchmuskulatur durch forcierte Ausatmung

Durch fokussierte und besonders tiefe Ausatmung trainierst du besonders die tiefe Bauchmuskulatur (M. transversus abdominis) und auch die für die Ausatmung sehr wichtige schräge Bauchmuskulatur (Mm. obliquus abdominii). Der Vorteil von tiefer Bauchatmung mit fokussierter Ausatmung ist auch folgender:

 

  • die tiefe Einatmung in den Bauch ist gleichzeitig auch ein Zwerchfell Release, die forcierte Ausatmung ist eine Aktivierung der tiefen Bauchmuskulatur. Dies reguliert das Tonusmuster insofern, als dass das Zwerchfell neuronal herunterreguliert wird, während die Stabilitationsfähigkeit der tiefen Bauchmuskulatur verbessert wird.

 

Zur Ausführung:

  • Beginne in Rückenlage
  • starte mit tiefer Einatmung in den Bauch in alle drei Richtungen (wie beim Beginn der 360° Breathing Übung)
  • versuche besonders lange auszuatmen, OHNE den Bauch bewusst anzuspannen
  • konzentriere dich nur auf das Ausatmen, nicht auf Anspannung jeder Art
  • du solltest während der gesamten Ausatmung keine Spannung in deinen Bauchmuskeln fühlen können. Mach den Selbsttest, indem du während der Ausatmung mit deinen Händen draufdrückst.
  • trainiere 8-10 Wdh in einer Serie.

 

 

Ausblick: Trainieren der Atmung in verschiedenen Positionen und Belastungsstufen

Du solltest in der Lage sein, in jeden Bereich hereinzuatmen und dort auch eine Ausdehnung spüren. Die Bauchatmung sollte nach vorn, nach unten und zur Seite zu spüren sein, die Rippen-Ausdehnung solltest du vorn / hinten sowie lateral spüren. Wenn eine Seite nicht gut zu spüren ist, hilft eine Dehnung der gleichen Seite (siehe Bild). Du kannst den Dehnreiz nutzen (oder auch Berührungen, Reiben oder Druck durch die Hände), um in diese Seite vermehrt hereinatmen zu können. Der taktile Stimulus hilft dem Gehirn häufig, die richtige Richtung für die vermehrte Atmung zu finden.

Auch das bewusste Atmen in der tiefen Hocke (Deep Squat) bietet viele Vorteile. Durch das Atmen gegen die Oberschenkel werden die inneren Organe noch besser stimuliert, was zu deren Funktionsoptimierung beiträgt.

Letztendlich solltest du auch in sportartspezifischen Positionen und unter Belastung Atemübungen einbauen, um dort die Rumpfstabilität zu verbessern – dies gibt deinem Gehirn das Signal, dass du Alles unter Kontrolle hast – der Weg zu Bewegungsqualität und Sicherheit!

 

Sportliche Grüße,

Daniel

 

 

 Ergänzung: Dieser Artikel erschien im Functional Training Magazin, Ausgabe 04/2018.

Sie können den Artikel im Original-Layout HIER herunterladen.

 

 

 

 

 

 

Daniel Müller NKT

Im Rahmen meiner Tätigkeit als Sport- und Bewegungstherapeut und Trainer verbinde ich meinen Wissens- und Erfahrungsschatz aus neurobasierten Ansätzen und Natural Movement zu einer individuellen Herangehensweise, die auf hohe Bewegungsqualität abzielt, egal ob in der Therapie oder im Hochleistungssport. Ich kombiniere medizinisch-therapeutisches Wissen mit neurowissenschaftlichen Erkenntnissen, einem breiten Verständnis für menschliche Bewegungen und Trainingslehre sowie einem bio-psycho-sozialen Modell von Gesundheit.