Wesentliche Screenings der oberen und unteren Extremitäten

Durch hochintensive Aktionen wie Würfe, Zweikämpfe, Sprints, Richtungswechsel und Sprünge werden beim Handball sowohl der Oberkörper, als auch der Unterkörper extrem beansprucht. Sportwissenschaftler und Athletiktrainer des SC Magdeburg, Daniel Müller, erläutert wesentliche Screeningverfahren auf funktioneller Ebene und gibt Trainings- und Therapieempfehlungen für sowohl biomechanische als auch neurozentrierte Methoden.

Der Vorteil von funktionellen Screeningverfahren

In der Sport- und Fitnesswelt ist in den letzten Jahrzehnten die Entwicklung zu beobachten, dass Trainer*innen und Therapeut*innen auch Disziplin-übergreifend arbeiten. So kann es sein, dass der Athletiktrainer Bewegungsanalysen durchführt, die vor längerer Zeit nur den Physiotherapeut*innen vorbehalten war. Auf der anderen Seite ist Physiotherapie schon lange nicht mehr mit “nur” passiven Behandlungen gleichzusetzen. Der moderne Physiotherapeut kennt sich besser mit Trainingslehre aus, als in vergangenen Tagen. 

Unabhängig von der klaren Trennung für bestimmte Befugnisse, wie z.B. zum Manipulieren von Gelenken, was nur den Physiotherapeut*innen vorbehalten ist, können Trainer*innen ihre Arbeit deutlich effizienter machen, wenn sie gezielte funktionelle Assessments bzw. Screenings benutzen, um die Trainingssteuerung nach Defiziten auszurichten, die für die jeweiligen Sportler*innen relevant sind.

Die Relevanz für die Sportart ist der entscheidende Punkt dabei. Ein funktionelles Screening ist nur hilfreich, wenn die folgenden zwei Faktoren zutreffen:

  • das Screening oder das Assessment gibt Aufschluss über einen funktionellen Sachverhalt, der innerhalb der Sportart / Disziplin direkt oder indirekt benötigt wird

  • der Anwender des Screeningverfahrens kann bei Defiziten Maßnahmen ergreifen, die direkt zu einer Verbesserung der Bewegungsqualität führen 

Neben weiteren, objektiveren Tests wie z.B. Krafttests an Maschinen, Beweglichkeitstests oder Vertical Jump Tests, sollen in diesem Artikel Testmethoden und Screenings vorgestellt werden, die Aussagen zur Bewegungsqualität der Athlet*innen geben und von jedem Trainer und Therapeuten einfach durchführbar sind. Die Screeningverfahren und Tests bilden keinesfalls ein vollständiges Bild ab, sie sind lediglich eine Essenz. Auf Profiniveau sollten noch mehr Tests dazukommen, um ein möglichst genaues Bild von den Sportler*innen zu bekommen.

Zum Anforderungsprofil im Handball

Handball gehört zu den komplexesten Sportarten der Welt. Die Anforderungen an die physische Fitness sind durch vielfältige Elemente auf konditionell und koordinativ höchstem Niveau charakterisiert (1,4). Durch eine unzählige Menge an Bewegungsvarianten, die Handballsportler*innen auf dem Feld absolvieren, ist die Qualität der Bewegungssteuerung für alle Gelenke entscheidend. 

Folgend zeige ich wesentliche Tests und Screenings der unteren Extremitäten. Die Beine bzw. Füße von Handballsportler*innen müssen eine präzise Koordination über den kompletten Spielverlauf besitzen, daher sind koordinative Tests von großer Bedeutung. Des Weiteren sind die Sprunggelenke (14,6%) und Knie (12,8%) mit Abstand die am meisten verletzten Strukturen im Profihandball (2,3). Sowohl die Sensorik der Füße und Sprunggelenke, als auch die Bewegungsqualität der Beinachsen sind daher ebenfalls im Fokus. 

Test der Sensorik für die Füße und Sprunggelenke

Die Wahrnehmung der Füße sollte möglichst genau sein, damit der Athlet eine gute innere Abbildung besitzt, denn diese verbessert auch die motorische Kompetenz. Was man nicht gut fühlt, kann man nicht gut bewegen – daher sollte die Sensorik überprüft werden. 

Abb. 1: Test auf Vibration (mittels Z-Vibe oder Massagegerät) – besonders auf der Innen- und Außenseite der Sprunggelenke muss die Wahrnehmung seitengleich sein (immer links und rechts miteinander vergleichen!), sonst liegt ein sensorisches Defizit vor. 

Falls ein Sprunggelenk z.B. gut spürbar ist (10/10 auf einer subjektiven Skala), das andere jedoch nur 7/10, dann sollte das letztere mit dem Vibrationstool aufgearbeitet werden, ca. 60-90s vor dem Warm Up, 5-10x täglich. Taping kann ebenfalls zur verbesserten Wahrnehmung eingesetzt werden. Aus Sicht des neuro-zentrierten Trainings sind zusätzlich folgende Drills zu empfehlen: 

  • Stimulation des gegenseitigen Parietallappens (z.B. durch rechte Pursuits für den rechten Kortex bei Sensorikdefizit des linken Sprunggelenks)
  • gegenseitige Kleinhirn-Drills (z.B. Fuß Achterkreisen in geschlossener Kette)
  • Nervenmobilisationstechniken für das gleichseitige Bein, v.A. Nervus Suralis, Nervus Tibialis und Nervus Saphenus

RANDBEMERKUNG: besonders wenn deine Athlet*innen Narben haben, solltest du diese in das sensorische Testen mit einbeziehen, denn sie sind meist sensorisch gestört und müssen dementsprechend aufgearbeitet werden. Falls du kein Z-Vibe oder elektronischen Massager hast, kann auch eine elektrische Zahnbürste dafür herhalten.

Tapping Test 

Teste das Anziehen und Wegstrecken des Fußes aus dem oberen Sprunggelenk (Dorsalflexion und Plantarflexion) mit maximaler Geschwindigkeit aus dem Stand für 10s. Überprüfe Fehlerrate, Geschwindigkeitsunterschiede und Rhythmusgefühl. Sollte ein Fuß schlechter koordiniert sein, ist dies hoffentlich nicht das Sprungbein!

Abb. 2: Testung der Koordination mittels Toe Tapping Test

Eine schlechtere Koordination nach 10s bedeutet, dass dieses Bein unter Ermüdung nach 45-55min auf dem Spielfeld umso schlechtere Karten hat. Auftrainierbar ist die Koordination durch folgende Drills: 

  • komplexe, nichtlineare Bewegungen der gleichen Seite (Fuß Achterkreisen, Knie-Achterkreisen, Hüft-Achterkreisen) mit Präzisions- und Tempovorgabe (mit Zielpunkten, mit Metronom / Taktgeber)
  • Präzisionsbewegungen mit dem Fuß (z.B. wiederholte einbeinige Sprünge auf verschiedene Bodenmarkierungen
  • Atemdrills, wenn Ausdauer das limitierende Element ist (z.B. Airhunger-Drills)
  • Trainer*innen aus dem neurozentrierten Bereich können ebenfalls das gegenseitige Frontalhirn sowie das gleichseitige Vestibularorgan stimulieren

Side-Hop-Test

Der Side-Hop-Test ist ebenfalls ein koordinativer Test, der sowohl Aussagen zur Sprunggelenksstabilität ermöglicht, also auch die präzise Bewegungssteuerung der Beinachsen unter höherer Belastung erfassen kann. Der Side-Hop-Test erfordert eine wiederholte, kontrollierte Ausführung schneller einbeiniger Seitwärtssprünge. Man klebt dazu zwei Tape-Streifen in 30cm Entfernung parallel nebeneinander. Der Spieler steht in der Ausgangsposition einbeinig auf dem zu testenden Bein. Die Hände liegen dabei auf dem Rücken. Aus dieser Position heraus soll der Spieler auf ein Startkommando mit seinem Standbein über die beiden Tapestreifen springen. Ziel ist es, so schnell wie möglich zehn Sprünge zu absolvieren. Wird bei einer Landung das Tape berührt, ist dieser Sprung ungültig und wird nicht gezählt. Im Anschluss wird derselbe Test mit dem anderen Bein durchgeführt

Abb. 3: Ausgangsposition des Side-Hop Test. Oftmals sind Differenzen in der Beinachsenstabilität, Präzision und Ausdauer schon beim ersten Testdurchgang ersichtlich.

Es empfiehlt sich, den Test mit dem Smartphone per Video festzuhalten, um mögliche Ungenauigkeiten in der Testdurchführung und Bewegungsauffälligkeiten besser beobachten zu können. Zudem ist es dadurch leichter, den Test im Anschluss mit dem Spieler auszuwerten. 

Eine eingeschränkte Bewegungspräzision oder -geschwindigkeit zeigt sich im Seitenvergleich schon meist nach einem einzigen Testdurchlauf. Aufzuarbeiten sind Koordinationsprobleme unter anderem mit folgenden Übungen: 

  • komplexe, nichtlineare Bewegungen der gleichen Seite (Fuß Achterkreisen, Knie-Achterkreisen, Hüft-Achterkreisen) mit Präzisions- und Tempovorgabe (mit Zielpunkten, mit Metronom / Taktgeber)
  • Präzisionsbewegungen mit dem Fuß (z.B. wiederholte einbeinige Sprünge auf verschiedene Bodenmarkierungen)
  • Trainer*innen aus dem neurozentrierten Bereich können ebenfalls das gegenseitige Frontalhirn sowie das gleichseitige Vestibularorgan stimulieren

Klatt-Test

Der Klatt-Test bietet eine hohe Aussagekraft bei geringem technischem Aufwand. Er gib Aufschluss über das dynamische Stabilisieren der Beinachse während einer einbeinigen Landung.

Abb. 4: Beim Ausgangs- und Endposition des Klatt-Tests zur Beobachtung der Beinachsendynamik während einbeiniger Landung. 

 Der Sportler steht auf einem 15-20cm hohen Step Brett in aufrechter Position, während er die Arme vor dem Körper gestreckt hält, die Hände ineinander verschlossen. Er springt mit einem Bein vom Brett nach vorn hinunter und landet auf dem gleichen Bein. Danach wird der Test mit der Gegenseite wiederholt. Neben der Stabilisationsfähigkeit des Fußes und der Sprunggelenke wird auch die Beinachse beobachtet. Das Knie sollte nicht oder nur sehr minimal in die Valgusposition gehen. Wenn hier eine Seite versagt, muss unbedingt gegengearbeitet werden, denn das Bewegungsmuster der Landung hat 

mit 31% den weitaus größten Anteil der Verletzungsmuster im Profihandball (2,3). Zum Aufarbeiten empfehle ich folgende Methoden:

  • Krafttraining der gleichseitigen Hüftabduktoren und -extensoren in offener und geschlossener Kette
  • Training der reflexiven Stabilität der gleichen Seite mittels vestibulären Reflexen
  • Stimulation der Hirnnerven 5-8 zur Verbesserung der reflexiven Stabilität der gleichen Seite

 

 

Tests und Screenings für die oberen Extremitäten

Test der Sensorik für die Hände

Die Wahrnehmung der Hände ist nicht nur für ein gutes Ballgefühl entscheidend, sondern hat auch direkten Einfluss auf die Schultergesundheit. Beweglichkeits- und Kraftdefizite in der Schulter sind nicht selten das direkte Resultat für eine gestörte Sensorik in den Händen. 

Teste mittels Vibrationstool  (Z-Vibe oder Massagegerät) und auch mit leichten Berührungen (leichtes Streichen mit einem Finger) die Wahrnehmung der Handflächen, Handrücken und Finger.

Abb. 5: Test der vibratorischen Sensorik für die Hände

 Liegt ein Unterschied im Spüren ausgewählter Areale der Finger oder Hand vor, sollte es umgehend aufgearbeitet werden, besonders wenn es sich um den Wurfarm handelt. Hierzu sollte der unteraktive Reiz mehrmals täglich gesetzt werden (z.B. 8x 1min Vibration oder leichtes Berühren mittels eines Stofftuchs).

Taping kann ebenfalls zur verbesserten Wahrnehmung eingesetzt werden. Aus Sicht des neuro-zentrierten Trainings sind zusätzlich folgende Drills zu empfehlen: 

  • Stimulation des gegenseitigen Parietallappens (z.B. durch rechte Pursuits für den rechten Kortex bei Problemen in der linken Hand)
  • gleichseitige Kleinhirn-Drills (z.B. Fuß Achterkreisen in geschlossener Kette)
  • Nervenmobilisationstechniken für den gleichseitigen Arm, v.A. Nervus Medianus, Nervus Ulnaris, Nervus Radialis

Test auf Schulter-Kompression 

Dieser Test überprüft die neuro-muskuläre Reaktion des Gehirns auf die Positionierung des Humerus. Mittels Muskeltest wird die Schulterflexion (Anheben des Arms) in zwei Positionen überprüft: 

  1. mit gestrecktem Handgelenk und komprimierter Schulter
  2. mit gebeugtem Handgelenk und dekomprimierter Schulter

Abb. 6: Beim Test auf Schulter Kompression wird untersucht, ob der neuromuskuläre Output der Schulter, gemessen am vorderen Deltamuskel, in komprimierter vs. dekomprimierter Position unterschiedlich ist. Geringere Muskelkraft in dekomprimierter Position spricht für ein komprimiertes Schultergelenk.

Wenn die Reaktion auf den Tester in dekomprimierter Position schlechter ist (weniger Kraft, zittern oder mehr Kompensationen durch z.B. Luft anhalten oder Anspannen des Trap

ezius), deutet das auf eine Kompression im Schultergelenk hin. Die Schulter ist in verschiedenen Positionen mit “langem Arm” nicht optimal stabilisiert, da das Gelenk bei Traktion einen Schutzreflex auslöst. Hier sind mögliche Therapie- und Trainingsüberlegungen: 

  • Manuelle Mobilisation der Gelenkkapsel
  • Manuelles Release der komprimierenden Muskeln, insbesondere M. pectoralis minor, M. supraspinatus
  • komplexe, nichtlineare Bewegungen des gleichseitigen Schultergelenks (Achterkreisen) in dekomprimierter Position
  • Aktivierung der Extensor-Muskulatur auf der gleichen Seite durch Aktivierung des Kleinhirns oder Stammhirns (Pons) 

 

FAZIT

Funktionelle Screenings sollten in aller erster Linie Dinge überprüfen, die auch einen relevanten Beitrag in der jeweiligen Sportart liefern. Des Weiteren müssen Trainer*innen und Therapeut*innen auch lernen, wie sie eventuelle Defizite beseitigen können, um die Ergebnisse auch sinnvoll zu verarbeiten. Die im Artikel dargestellten Screenings und Tests stellen eine Auswahl für den Handballsport dar und können sowohl pre-season, als auch in-season verwendet werden. Sie sind mit einfachen Mitteln schnell umsetzbar, während sie einen großen Benefit ermöglichen.

Quellen: 

  1. Karcher, C. & Buchheit, M. (2014). On-Court Demands of Elite Handball, with Special Reference to Playing Positions. Journal of Sports Medicine (2014) 44:797–814.

  2. Klein, C., Bloch, H., Burkhardt, K., Kühn, N., Pietzonka, M. & Schäfer, M. (2020). VBG-Sportreport 2020 – Analyse des Unfallgeschehens in den zwei höchsten Ligen der Männer: Basketball, Eishockey, Fußball, Handball. Hamburg: VBG.

  3. Luig, P., Krutsch, W., Henke, T., Klein, C., Bloch, H., Platen, P. & Achenbach, L. (2020). Contact – but not foul play – dominates injury mechanisms in men’s professional handball: a video match analysis of 580 injuries. British Journal of Sports Medicine, 54:984-990. https://doi.org/10.1136/bjsports-2018-100250

  4. Wagner, H.; Fuchs, P. & Duvillard, S. P. (2018). Specific physiological and biomechanical performance in elite, sub-elite and in non-elite male team handball players.  Sports Med Phys Fitness, Jan-Feb 2018;58(1-2):73-81.

Daniel Müller NKT

Im Rahmen meiner Tätigkeit als Sport- und Bewegungstherapeut und Trainer verbinde ich meinen Wissens- und Erfahrungsschatz aus neurobasierten Ansätzen und Natural Movement zu einer individuellen Herangehensweise, die auf hohe Bewegungsqualität abzielt, egal ob in der Therapie oder im Hochleistungssport. Ich kombiniere medizinisch-therapeutisches Wissen mit neurowissenschaftlichen Erkenntnissen, einem breiten Verständnis für menschliche Bewegungen und Trainingslehre sowie einem bio-psycho-sozialen Modell von Gesundheit.